Wie die Konnektivität die Heizungsindustrie von morgen prägt
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Das Frankfurter Zukunftsinstitut bezeichnet Konnektivität als den „wirkungsmächtigsten Megatrend unserer Zeit“[1]. Der Begriff beschreibt die zunehmende Vernetzung von Maschinen, Geräten und Alltagsgegenständen, um diese miteinander arbeiten zu lassen und dadurch unser Leben zu verbessern.
Die Aufgabe von Herstellern vernetzter Produkte kann auf die Schaffung eines eigenen Netzwerkes abzielen – beispielsweise bestehend aus mehreren kompatiblen Produkten innerhalb seiner Marke – oder um ein Gerät zur Einwahl in ein Netzwerk mit Produkten anderer Entwicklungsteams innerhalb und außerhalb des eigenen Unternehmens zu befähigen.
Eine Vernetzung kann rein lokal erfolgen, um etwa per Modbus oder Funk Daten innerhalb eines geschlossenen Systems (z.B. eines Gebäudes) auszutauschen. Immer häufiger meint Konnektivität jedoch auch die Anbindung ans Internet als weitere Dimension des Datenaustausches über die Grenzen isolierter Systeme hinweg.
Ähnlich wie Menschen durch das Fortschreiten von lokalen Dorfgemeinschaften hin zur globalisierten Welt den heutigen Lebensstandard erst möglich gemacht haben, setzt die universelle Vernetzung des IoT enorme Entwicklungspotenziale frei, bringt aber auch massive Herausforderungen mit sich.
Infobox: Internet of Things
Im kontinuierlich entstehenden Internet of Things (IoT), auf deutsch “Internet der Dinge”, bekommt jedes „Ding“ einen Netzanschluss und eine IP-Adresse. Vom Telefon bis zum Fernseher, vom Pakettracking bis zur vernetzten Heizung.
Die Durchdringung des IoT in einem Anwendungsfeld beginnt meist beim Kernprodukt und schreitet immer granularer bis in die Peripherie und Komponentenebene voran. Die Wärmeerzeuger als Kernprodukt eines Heizsystems ans Internet anzuschließen ist schon seit Jahren ein anhaltender Trend, der sich im nächsten Schritt in nachgelagerte Teilsysteme wie die Wärmeverteilung bis hin zu Einzelkomponenten wie Pumpen, Ventile und Sensoren fortsetzt.
Somit wird das exponentielle Wachstum des IoT durch zwei Faktoren getrieben:
mehr vernetzte Systeme x mehr vernetzte Teile je System.
Von den Pionieren lernen
Ob lokale Vernetzung oder globale Vernetzung per Internet: der gemeinsame Nenner des „wirkungsmächtigsten Megatrends unserer Zeit“ ist stets das Mehr an Elektronik, mehr digitaler Kommunikation, mehr Software-Intelligenz.
Elon Musk sprach schon 2015 von seinen Teslas als „Computer auf Rädern“ und hat damit den Beginn eines neuen Zeitalters in der Automobilindustrie eingeläutet. Im Herbst 2020 übersteigt Teslas Börsenwert den von Toyota, VW, Daimler, Honda, GM und Ford zusammen.
Warum sollte sich nicht auch die Heiztechnik durch die Chancen der Konnektivität weiterentwickeln? Was kann eine Prise Tesla in der Heizungsindustrie bewirken? Welchen Beitrag kann Konnektivität zu Leistungsfähigkeit und Funktionssicherheit von HVAC-Systemen, Nachhaltigkeit im Kontext des Klimawandels und Geschäftserfolg im Sinne Ihrer persönlichen Ziele leisten?
Ein Leitfaden für Produktmanager der Heizungsindustrie
Mit unserer Reihe „Vernetzte Heizungstechnik“ möchten wir die Chancen der Konnektivität aus Sicht der Heizungsindustrie betrachten: die Besonderheiten in der Entwicklung vernetzter Produkte hervorheben und Lösungsansätze aufzeigen, praktische Aspekte teilen und letztlich eine Hilfestellung bieten, um erfolgreiche Heiztechnik im Sinne Ihrer Produktstrategie zu entwickeln. Am Puls der Zeit zu sein, aber auch zu unterscheiden zwischen Sinnhaftigkeit und Overkill, realem Handlungsdruck und einem überdrehten Entwicklungstempo, welches Handwerker oder andere wichtige Marktakteure abhängt. Das Zeitalter der Konnektivität mag auch in der Heizungsbranche neue Gewinner und Verlierer schaffen, ganz sicher aber wird es technologische Entwicklungssprünge hervorbringen und Geschäftsmodelle verändern.
Historisch bedingt ist die Heizungsbranche eher in der mechanischen und physikalischen Welt verwurzelt als in der elektronischen und digitalen. Die Gewichtung der Stärken und Schwächen vieler Akteure in Heizungsindustrie und SHK-Handwerks spiegelt dies entsprechend wider. Die Stärken im mechanisch-physikalischen Bereich werden sicherlich ein wichtiger Erfolgsfaktor bleiben, aber auf Dauer nicht mehr ausreichen. Der Schlüssel für das Bestehen im Zeitalter der Konnektivität liegt darin, diese Grundlagen durch sinnvolle und gut umgesetzte Vernetzung als digitalen Katalysator anzureichern. Wenn Sie es nicht tun, tun es die anderen.
Die Chancen der Konnektivität für die Heizungsindustrie
Die Heizungsindustrie kann sich durch die Konnektivität in drei Kategorien Nutzenpotenziale erschließen:
Lokale Vernetzung mit lokalem Nutzen
Teile eines Heizsystem werden miteinander vernetzt um die Funktionalität der Anlage zu optimieren. Beispiele:
- Austausch funktionsrelevanter Daten (z.B. Übermittlung von Speichertemperaturen, Relaiszuständen oder Störmeldungen per Modbus)
- Lösung hydraulischer oder regeltechnischer Probleme mit digitaler Intelligenz (z.B. automatischer hydraulischer Abgleich oder Prävention von Temperatur-Überschwingungen in Flächenheizungen)
- Teilen von Informationen der Systemkomponenten, um Rückschlüsse auf das Gesamtsystem zu ziehen (z.B. Kumulierung des Wärmebedarfs der Wohneinheiten eines Mehrfamilienhauses zur Berechnung von Gesamtwärmebedarf und bedarfsgerechter Vorlauftemperatur, Worst Case-Betrachtung durch vernetzte Messwerte von Anlagendruck oder Luftfeuchtigkeit an mehreren Stellen im System)
Vernetzung „nach außen“ mit lokalem Nutzen
Ein Heizsystem wird mit dem Internet verbunden, um Mehrwerte für dieses System zu ermöglichen. Beispiele:
- Auslesen von Anlagendaten zur Systemoptimierung (z.B. Kennlinie anpassen)
- Push-Nachrichten per E-Mail oder Auslesen von Störmeldungen
- Software-Updates oder Wetterdaten in die Anlage einspielen
- Fernparametrierung auf Endkunden-, Handwerker- oder Herstellerebene (z.B. Endkunden-App für Anlagenstatus und anpassen von Raum-Solltemperaturen versus Profi-Zugriff zur Anlagenparametrierung)
Vernetzung „nach außen“ mit systemübergreifendem Nutzen
Hierbei werden Anlagendaten zahlreicher Heizsysteme an zentraler Stelle gesammelt und systematisch ausgewertet. Hieraus können etwa für die Produktentwicklung oder die Qualitätssicherung wertvolle Erkenntnisse gewonnen werden, die den Herstellern als auch den Anlagenbetreibern zugute kommen können. Beispiele:
- Messung und Vergleich der Anlagenperformance im Feld
- Rückschlüsse zur richtigen Komponentendimensionierung gewinnen
- Nutzerverhalten und -bedürfnisse besser verstehen
- Empirische Erkenntnisse über technische Schwachstellen. Welche Installationsfehler unterlaufen dem Handwerker am häufigsten? In welchen Zapfsituationen erreicht eine Frischwasserstation ihre Solltemperatur nicht schnell genug? Wie wirkt sich die Verkalkung eines Wärmetauschers auf die Systemleistung aus?
- Predictive Maintenance
Im Kapitel Wertversprechen für die Heiztechnik im IoT gehen wir tiefer auf die Mechanismen ein, mit denen die Vernetzung Chancen bietet. Der Artikel zur UX vernetzter Heizungsprodukte gibt Anregungen zur Optimierung des Nutzererlebnisses. Und Produktentwickler, die mehr über die Nutzung von Datenintelligenz erfahren möchten, finden hier Tipps zur Entwicklung datengetriebener HVAC-Produkte.
[1] https://www.zukunftsinstitut.de/dossier/megatrend-konnektivitaet/, abgerufen am 23.6.2020