Mit Datennutzung zu Mehrwerten für die Heizungsindustrie

Mit Datennutzung zu Mehrwerten für die Heizungsindustrie

Lesezeit: 7 Min

„Ware -> Service -> Daten“ – so beschreibt HVAC-Trendforscher Arno Kloep die zukünftige Verschiebung der Einnahmequellen der Heizungsindustrie.

„Zurzeit befinden wir uns in einer Übergangsphase. Wir beginnen Deckungsbeitrag aus Service zu generieren. Diverse Dienstleistungen, vom Aufmass bis zur Wartung, werden als bepreiste Dienstleistung dem Handwerker oder dem Endkunden angeboten. Wir meinen erkennen zu können, dass es in ein paar Jahren einen Wettbewerb zwischen Industrie, Handel und Handwerk geben wird, wer dem Endkunden den Service leisten und berechnen darf.

In der Endphase werden wir dem Endkunden die Ware schenken und als Gegenleistung die Betriebsdaten erhalten und auswerten dürfen. Ware wird ohne Deckungsbeitrag sein, Service zu Grenzkosten angeboten werden und Daten das Gold der Zukunft sein.“ [1]

Wie mit einem Produkt Wert geschaffen und Geld verdient wird, ist in der HVAC-Industrie bestens bekannt – sie ist voll mit hervorragenden (und einigen nicht so hervorragenden) Produkten, die den Herstellern ihre Einnahmen beschert.

Auch Service war schon immer integraler Bestandteil des Leistungsumfangs der HVAC-Hersteller, dessen Bedeutung stetig weiterwächst. Die Digitalisierung befördert diesen Trend. Erstens, da sie die Erbringung altbekannter Serviceleistungen wie die Gerätewartung effizienter machen kann. Und zweitens, da sie neue Formen von Services ermöglicht. Viele Hersteller stehen jedoch noch vor dem Problem, wie sie den Schritt vom Service als kostenloser Flankierungsmaßnahme eines Produktverkaufs hin zur Monetarisierung der Services selbst schaffen können.

Die Konnektivität des IoT ergänzt jedes Produkt um einen Service

 

Wie schon im Beitrag „Die 8 Herausforderungen an die Produktentwicklung vernetzter Heiztechnik“ beschrieben, enthalten alle Internet of Things-Produkte immer eine Servicekomponente. Das mindeste, was sichergestellt sein muss, ist den Service der Vernetzung fortlaufend zu gewährleisten, d.h. den dahinter liegenden Webserver langfristig zu betreiben, damit das vernetzte Produkt erreichbar bleibt.

 

Dies ist einerseits eine Verpflichtung, die andererseits auch die Chance mit sich bringt, über den Einmalkauf hinaus mit Kunden und Anlagen im Kontakt zu bleiben. Das kann zunächst technisch für den Hersteller interessant sein, um das Troubleshooting zu vereinfachen oder Erkenntnisse für die Produktentwicklung zu extrahieren. Hierzu später mehr.

 

Die laufende Serviceinteraktion kann aber auch vertrieblich-kommerziell genutzt werden, und somit Ansätze zur Monetarisierung bieten. Der direkteste Weg hierfür ist sicher der Fernwartungsvertrag bis hin zum Heat as a Service.

In der Autobranche hat Volvo schon 2018 mit seinem Abo-Modell viel Aufsehen erregt, welches unter anderem als „Netflix für Autofahrer“ betitelt wurde. In Bezug auf die Heizung wächst sogar im konservativen Deutschland die Offenheit für Abo-Modelle. In der Heizungsindustrie haben daher unter anderem Baxi oder Viessmann bereits Schritte in Heat as a Service unternommen.

 

Ein vernetztes Heizsystem kann auch einen Beitrag zur Markenbildung leisten, wenn durch den vernetzten Service häufigere Kontaktpunkte zwischen Kunde und System entstehen – beispielsweise durch Erhalt eines Verbrauchsreports oder sinnvollen (!) Optimierungstipps der Anlage mit Herstellerlogo per App oder ins Mailpostfach. Dies sollte allerdings wohldosiert sein und stets mit einem Mehrwert für den Benutzer einhergehen, damit der Kontaktpunkt positiv konnotiert bleibt.

Ebenso lässt sich die Internetanbindung von Heiz- und Klimasystemen wunderbar als dezenter Werbekanal mitverwenden. Wenn etwa der Hausbesitzer seinem Nachbarn die coolen Features seiner Heizungsmodernisierung vorführt, oder der Handwerker auf der nächsten Hausmesse bei Bier und Bratwurst seinem Kollegen die Leistungsdaten seiner jüngsten Installation live zeigen kann, macht sich Konnektivität werblich bezahlt. Wer möchte kann hierüber mit einer geschickten Kunden-werben-Kunden sogar ins Empfehlungsmarketing einsteigen.

 

Durch den laufenden Zugriff auf vernetzte Systeme hält der Hersteller zudem den Zugang zum Ersatzteilgeschäft in seiner Hand: wer als erstes erkennt, dass eine Pumpe getauscht werden muss, hat die besten Möglichkeiten dieses Teil auch zu liefern. Oder zumindest zu beeinflussen, welches Ersatzteil verbaut werden sollte – und sei es nur um technische Kompatibilität sicherzustellen und Problemen vorzubeugen. Inwiefern die Kontrolle des Ersatzteilgeschäfts realisierbar und überhaupt wünschenswert ist, mag sich von Produkttyp zu Produkttyp unterscheiden und ist letztlich auch Entscheidung des Produktmanagements.

 

Gleich auf welchem Wege man den Serviceaspekt vernetzter Heiztechnik für sich nutzen möchte, sollte der Wandel vom Einmalkauf-Produkt in Richtung fortlaufender Service dennoch mit Augenmaß betrieben werden, um die Kundenerwartungen nicht zu übergehen. Bei Heat as a Service-Modellen muss beispielsweise berücksichtigt werden, dass Kunden nicht immer das Besitzgefühl über ihre Heizung abgeben möchten. Im Eigenheim ist die Bereitschaft hierzu wahrscheinlich geringer als in einer gewerblichen Anlage, und für ein leicht tauschbares Smart Thermostat höher als für eine fest mit dem Gebäude verankerte Flächenheizung.

 

Quelle: “The 2020s is the decade to decarbonise heat” by LCP Delta
Quelle: “The 2020s is the decade to decarbonise heat” by LCP Delta

Letztlich hängt es immer von der Klientel und dem Anwendungsfall ab. Für eine große Frischwasserkaskade oder eine Einzelraumregelung für ein Bürogebäude würden ein Monitoringdienst oder ein Wartungsvertrag sicherlich gut passen. Ein vielversprechendes Anzeichen auch für das Servicegeschäft mit Privatkunden: laut den europaweit tätigen Marktforschern von LCP Delta zeigt sich bereits die vorhandene Zahlungsbereitschaft für laufende Servicegebühren bei den Kunden vernetzter Heizsysteme [2] – die Chance für die Industrie, im Wandel der Ertragsquellen einen ersten Schritt nach vorne zu machen.

Daten als Designmaterial

 

Die sinkenden Kosten elektronischer Sensoren und Konnektivität führen dazu, dass Datenerfassung eine Kernfähigkeit von immer mehr Produkten wird – vom großen Anlagenbau bis hin zu kleinen Teilkomponenten. Der Informatiker und Unternehmensberater Dr. Carsten Hentrich fasste es so zusammen:

 

„Das reine Produkt wird früher oder später abgewertet –
wenn man nicht sein Potenzial als Datenmaschine erkennt“
[3]

 

Statt etwa eine Überwachungskamera nur als Teil eines Sicherheitssystems zu betrachten, kann man es auch als Medium zur Aufzeichnung von Daten sehen, die sie für alternative Nutzungen freisetzt, wie z.B. ein Baby zu behüten oder die Futtergewohnheiten des Haustiers zu lernen.

Und Heiz- und Klimasysteme? Welche Daten sind in Ihrem Heizsystem vorhanden, welche könnten generiert werden? Viele unterschätzen die Menge und die Bandbreite an Daten, die ein Heiz- oder Klimasystem direkt erfassen oder plausibel herleiten kann.

Durch eine Einteilung in folgende Datentypen wird die Vielfalt des Datenpotenzials deutlich:

  • Dynamisch: beschreibt, was die Dinge gerade jetzt tun (z.B. Temperatursensoren, Heizleistung)
  • Statisch: geben interpretativen Kontext für dynamische Daten (z.B. Systemaufbau, Produkt-Datenblätter)
  • Direkt gemessen (z.B. VL-Temperatur)
  • Schlussgefolgert (z.B. Heizbedarf, Defekterkennung)
  • Eigene Datengenerierung
  • Anreicherung von Daten von Dritten (z.B. Wetterdaten)
  • Historisch (z.B. Temperaturverläufe)
  • Live (z.B. Durchflussmenge)
  • Zukünftig (z.B. Prognose Speicherladezustand, Prognose Solarertrag)

 

Die Überlegung, welche Daten Ihr System also erheben oder herleiten soll, wird zunehmend zu einer Designentscheidung, die von Beginn an Teil des Produktkonzepts sein sollte. Wie bei allen softwarebasierten Produkten kann jedoch auch das Datenkonzept stetig mitevolvieren und ist somit offen für spätere Nutzungsideen – der Appetit wächst manchmal erst beim Essen.

Wie aus Daten Nutzen wird

 

Drei Tipps, um aus Daten Nutzen zu erzeugen:

1. Daten aggregieren. Hierunter ist die Verknüpfung von Daten vieler Anlagen zu verstehen. Je mehr vernetzte Produkte man ins Feld bringt, desto größer ist der Mehrwert der aggregierten Daten, die sie erzeugen. Aus den Daten eines einzelnen Autos lassen sich für den Fahrer schon hilfreiche Nutzungsfälle abdecken, indem sie ihm beispielsweise seine aktuelle Position live auf einer Karte anzeigen oder seinen Energieverbrauch prognostizieren können. Aber erst wenn Daten vieler Autos aggregiert werden, vervielfachen sich die Nutzenpotenziale: es ergeben sich Hinweise über die Verkehrsdichte und es lassen sich die beste Route und die prognostizierte Fahrzeit ableiten, oder der Spritverbrauch eines Fahrers als vergleichsweise sparsam oder verschwenderisch klassifizieren.

Analogie für die Heiztechnik: Die Daten eines einzelnen Teststands oder einer Pilotanlage mögen für die Produktentwicklung als Momentaufnahme Erkenntnisse zur späteren Feldperformance liefern. Aber Livedaten aller tatsächlich installierten Anlagen bieten dynamische, empirische und statistisch validierbare Erkenntnisse über Stärken, Schwächen und Leistungsvermögen eines Produkts, aufschlüsselbar nach Anwendungsfall oder Produktrevisionsnummer, nach Zeitpunkt oder als Zeitreihe usw. Wer aus jeder Installation seines Produkts Daten extrahiert und auf einem Datenserver zusammenträgt, betreibt gewissermaßen ein gigantisches Forschungslabor mit ungeahntem Potential für die Verbesserung seiner Produkte.

 

2. Fokus auf Ziele des Nutzers. Die Nutzergruppe der Daten, die Sie mit Ihrer Heiztechnik generieren können, kann extern oder intern sein. Ein externer Nutzer ist beispielsweise der Endkunde, der Energie sparen möchte, der Anlagenplaner, der seine Berechnungen korrekt auslegen möchte oder der ausführende Handwerker, der mit wenig Aufwand eine funktionierende Anlage in Betrieb nehmen möchte. Je mehr Daten, desto besser kann diesen Kundengruppen Nutzen gebracht werden.

Daten können aber auch betriebsintern genutzt werden: Die Qualitätssicherung möchte durch Daten die Reklamationsquote senken, die Produktentwicklung die Temperaturstabilität verbessern, oder der Vertrieb Cross-Selling-Potenziale identifizieren.

Die Art der Datennutzung sollte die Ziele der relevantesten Nutzergruppen immer ins Zentrum setzen. “Focus on the user and all else will follow” [4]. Mehr zur Usability vernetzter Heizsysteme erfahren Sie hier.

 

3. Aktionen erzeugen. Ein Haufen Daten bewirken noch keinen Handlungsimpuls. Der wirkliche Wert von Daten basiert darauf, wie man dank der gewonnenen Erkenntnisse anders handeln kann. Hierfür müssen die richtigen Daten erfasst werden, die Daten müssen richtig erfasst werden (das ist nicht das selbe!), und sie müssen leicht weiterverarbeitet werden können. Welche weiteren Dinge bei der Data Science, also der Extraktion von Wissen aus Daten, zu tun sind lesen Sie hier.

Wo Wert geschaffen wird, kann Geld verdient werden. Das kann auf der Einnahmenseite sein, wenn intelligente Datennutzung verkaufsfördernd eingesetzt wird. Ebenso kann sich Datenintelligenz durch Effizienzsteigerungen im After-Sales-Support oder der Produktentwicklung Prozesse verschlanken und somit Zeit und Budget sparen. Für die Produktentwicklung kann die Nutzung von Daten zudem strategisch helfen, schwer kopierbare Wettbewerbsvorteile zu erzielen. Welche Überlegungen hierzu notwendig sind, beschreibt der Beitrag “Überlegungen vor der Entwicklung eines datengetriebenen HVAC-Produktes”.

Jonas Bicher

Über den Autor

Jonas Bicher ist seit 2013 Geschäftsführer bei SOREL.
Er mag innovative Ideen, Usability Design und softwarebasierte Technologien

[1] Querschiesser Trendstudie 2020

[2] https://www.linkedin.com/pulse/over-75m-homes-have-connected-climate-controls-europe-arthur-jouannic/, abgerufen am 29.7.2020

[3] Dr. Hentrich, C., Pachmajer, M. (2016). d quarks – Der Weg zum digitalen Unternehmen.

[4] https://about.google/philosophy

15. Dezember 2022
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