Alexa, Smartphone & Co: Einsatzchancen und Grenzen für die Heizungsindustrie
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Das Smartphone ist über das letzte Jahrzehnt zweifellos zur Allzweckwaffe geworden mit einer Verbreitung von circa 97% in der erwerbsfähigen Bevölkerung[1]. Auf dem Erfolg des Smartphones aufbauend, gelang weiteren Connected Consumer Electronics der Durchbruch. Diese sind inzwischen so prägend für unseren Alltag und die Erwartungshaltungen von Konsumenten, dass kaum ein Bereich davon unberührt bleibt.
Auch für Hersteller der Heizungsindustrie stellt sich zunehmend die Frage, wie sich die durch Consumer Electronics geprägten Erwartungshaltungen in ihren Produkten widerspiegeln oder wie sie miteinander interagieren können.
Die Heizungsindustrie mag bei der Anwendung digitaler Technologien nicht immer ganz vorn dabei sein. Dennoch bietet sie inzwischen zahlreiche Apps für Handwerker oder Endkunden an und immer mehr Heizsysteme gehen online.
Warum das so ist beschreibt auch der Beitrag „Wie die Konnektivität die Heizungsindustrie von morgen prägt“.
Die Eignung des Smartphones als Bediengerät für Heizsysteme
Apps werden häufig verwendet, um dem Handwerk Informationen zum Einsatz ihrer Produkte zur Verfügung zu stellen, Aufträge logistisch abzuwickeln oder als Tools für den After-Sales Service. In vielen Fällen ist das Smartphone auch ein Komplementär zum eigentlichen Bediengerät eines Heiz- oder Kühlsystems.
Da fast jeder im Umgang mit dem Smartphone geübt ist, liegt der Gedanke nahe, das User Interface eines Heizsystems teilweise oder ganz auf das Smartphone zu verlagern. Beispielsweise um Wandthermostate im Wohnraum oder an Heizkörpern zu ersetzen, oder anstelle eines device-led Setups ein service-led Setup gewünscht ist (siehe hierzu „UX für vernetzte Heizsysteme“).
Die Vorteile sind die Einsparung von Hardwarekosten und eventuell ein modernes Image. Es gibt beim Einsatz des Smartphones als Haupt-Bediengerät für Heizsysteme jedoch diverse Einschränkungen zu berücksichtigen:
- Neben dem Anlagenbesitzer brauchen vor allem die Heizungsinstallateure bei Inbetriebnahme und Serviceeinsätzen unkomplizierten und schnellen Zugriff auf das gesamte System. Das Herunterladen einer App und die Einrichtung des Zugriffs auf die jeweilige Anlage fügen aber weitere Arbeitsschritte hinzu. Schlechter Empfang im Heizungskeller oder das Fehlen eines dienstlich nutzbaren Smartphones können weitere Praxishürden sein.
- Limitiert die Einsetzbarkeit des Systems im öffentlichen Raum, beispielsweise in Hotels oder Büros, aber auch in Gästezimmern. Wechselnden Raumnutzern temporäre Zugriffsrechte zu verteilen, oder das Herunterladen und Freischalten einer App vorzuschreiben, um die Raumtemperatur anzupassen scheint zu umständlich.
- Die Macht der Gewohnheit. Wer sich beispielsweise sein Leben lang eingeprägt hat, die Anpassung der Raumtemperatur habe über den Gang zum Heizkörper oder zum Wandthermostat zu erfolgen, müsste zur Etablierung einer neuen Handlungsabfolge einen geistigen Umstellungsaufwand betreiben, indem er künftig stattdessen zum Smartphone greifen soll (siehe Infobox: mentales Modell). Nicht alle sind bereit, diesen „Aufwand“ zu betreiben, auch wenn er den entwickelnden Technikern trivial erscheinen mag. Warum gibt es sonst 10 Jahre nach Einführung von Smart-TVs noch Fernbedienungen? Als Ingenieure und Tüftler überschätzen Produktentwickler gelegentlich die Bereitschaft von Handwerkern und Endkunden, neue Vorgehensweisen erlernen zu wollen. Produktentwickler sollten das zumindest einkalkulieren, bevor sie mit einer allzu radikalen Verlagerung auf App-basierte Bedienkonzepte manche Kundensegmente ausschließen.
Ein gesunder Mittelweg könnte darin bestehen, die Bedienung per Smartphone-App dem Kunden als Option anzubieten und somit die Wahl dem jeweiligen Kundenwunsch oder Anwendungsfall zu überlassen.
Infobox: mentales Modell
Die Psychologie bezeichnet die Vorstellung im Kopf einer Person davon, wie etwas zu funktionieren hat, als mentales Modell. Für die Vereinbarung von Terminen ist beispielsweise der Einsatz von Kalendern ein vorherrschendes mentales Modell.
Die Verwendung eines Produktes entgegen der Intuition eines mentalen Modells erfordert einen kognitiven Lernaufwand, den die meisten Menschen gern vermeiden. Mentale Modelle sind oft sehr träge und sehr zeitbeständig.
Im Interaktionsdesign wird daher im Sinne der bestmöglichen Usability meist versucht, die Produktverwendung an den mentalen Modellen der Benutzer auszurichten statt umgekehrt.
Sprachassistenten in der Heiztechnik
Rund ein Viertel der deutschen Haushalte besaßen 2020 einen Smart Speaker wie den Amazon Echo[2] und 32% nutzten regelmäßig Sprachassistenten wie Siri oder den Google Assistant[3]. Tendenz steigend. Inwiefern dieser Trend dauerhaft die Interaktionen zwischen Mensch und Heizung beeinflusst ist eine interessante Frage.
Ausgereiftes Natural Language Processing hat den großen Vorteil, den natürlichsten und somit bequemsten aller menschlichen Kommunikationswege zu nutzen. Aus Usability-Sicht zunächst sehr interessant. Es gibt aber auch viele Einschränkungen im Allgemeinen und für die Heizungsindustrie im Speziellen:
- So respektabel es technisch sein mag, die KI (künstliche Intelligenz) eines Sprachassistenten bis zum korrekten Verständnis von 95% oder sogar 99% der Befehle anzutrainieren: die verbleibenden 5% oder 1% sorgen für die einprägsamsten Momente beim Nutzer und können den Spaß an der Technologie schnell in Frustration umschlagen lassen. Microsoft’s Spracherkennung Cortana schlug unlängst professionelle Stenographen in der Spracherkennung – allerdings unter Laborbedingungen. Hintergrundgeräusche und fehlendes Kontextbewusstsein der KI sorgen in realen Situationen jedoch immer noch für spürbare Verständnisprobleme.
- Die Natürlichkeit der Sprache stößt außerhalb des englischen Sprachraumes schnell an ihre Grenzen. Zum einen liegt der Entwicklerfokus aufgrund der Dominanz des Silicon Valley auf dem englischen Sprachraum, zudem ist Englisch grammatikalisch deutlich einfacher als die meisten anderen Sprachen. Für Deutsch, Italienisch oder Spanisch werden die Sprachassistenten sicherlich ebenfalls rasante Fortschritte machen. Aufgrund des Gesetzes des abnehmenden Grenznutzens – die Relation aus Aufwand und erzieltem Fortschritt flacht ab – kann es allerdings noch viele Jahre dauern, um die letzten % erforderliche Sprachtiefe zu erschließen, die letztlich für eine wirklich natürliche Kommunikation ohne frustrierende Einzelerlebnisse nötig ist.
- Bedeutungskonflikte zwischen Sprachassistent und dem eigentlichen Heizsystem. Beispiel: wenn Alexa die Heizung „um 1°C erhöht“, meint es damit eine temporäre oder dauerhafte Erhöhung? Bezieht es sich auf den aktuellen Raum, das ganze Haus oder gar die Soll-Vorlauftemperatur? Was versteht Alexa unter einem „Urlaubsmodus“ oder einer „Absenktemperatur“? Für all diese Feinheiten muss ein Modus Operandi gefunden werden, der das Heizsystem effizient laufen lässt und den Benutzer nicht durch widersprüchliche Verhaltensweisen verwirrt. Wenn die Heizung anders reagiert als es der Benutzer mit seinen Sprachkommandos erwartet, bekommt sonst am Ende das Heizsystem den schwarzen Peter.
- Fehlendes Feedback. Ein Sprachassistent kann bestätigen, dass es ein Kommando gesendet hat die Temperatur zu erhöhen. Schwieriger ist es aber zu wissen, ob die Empfängerseite (die Heizung) dieses auch empfangen, verstanden und ausgeführt hat. Vielleicht befindet sich der Wärmeerzeuger außerhalb seiner eingestellten Betriebszeiten, eine Schutzfunktion blockiert die Temperaturerhöhung, oder die Empfängerseite ist gar nicht online.
- Heizsysteme haben längere Entwicklungszeiten und einen längeren Lebenszyklus. Consumer Electronics hingegen sind äußerst schnelllebig – es kommen Schlag auf Schlag technische Neuerungen auf den Markt, die ebenso schnell wieder veralten. Während die Heizungsindustrie sich bemüht, ihre Systeme mit den neusten Sprachassistenten kompatibel zu machen, hat das Silicon Valley vielleicht längst das nächste große Ding in der Pipeline und alles beginnt von vorn. In einigen Bereichen wird der Nachfragedruck des Endkunden den Heizungsherstellern kaum eine Wahl lassen. In vielen Produktklassen und Anwendungsbereiche der Heiztechnik bleibt aber etwas Entscheidungsfreiheit des Produktmanagements, ob und in welchem Maße man sich diesem Spagat zwischen zwei unterschiedlichen Welten aussetzen möchte.
- Sprachassistenten sind für standardisierbare Kommandos interessant, nicht jedoch für komplexe Eingaben oder Abfragen. Das gilt umso mehr in dem Maße, wie zudem Fachjargon ins Spiel kommt, für den das maschinelle Lernen mit einem Bruchteil der üblichen Trainingsdaten auskommen muss. Eine Systemparametrierung auf Experten-Ebene zu machen, durch den Endkunden ein Zeitprogramm einzurichten oder umfassendere Energiestatistiken abzufragen kann ein Sprachassistent jedoch nicht leisten, so dass sie wohl noch lange auf die Rolle des Zweitinterfaces beschränkt bleiben.
- Kosten für die Hersteller: Doppelte Interfaces zu bespielen (ein verbales, ein taktiles) will bezahlt werden und bedeutet neben höheren Entwicklungskosten auch höheres Fehlerpotenzial. Sei es im Produkt, oder auch durch potenzielle Missverständnisse auf Userseite.
Wie Digitalkonzerne zu Konkurrenten der Heizungsindustrie werden
Die Innovationen von Tech-Giganten wie Amazon, Apple oder Google bringen zweifellos spannende Möglichkeiten, um Heiztechnik moderner, effizienter und anwenderfreundlicher zu machen. Das Verhältnis von Heiztechnik und Consumer Electronics birgt jedoch auch Spannungspotenzial.
Zum einen prägt das Silicon Valley die Konsumentenerwartungen derart, dass die Produktentwicklung der Heiztechnik immer stärker von Entscheidungen der Digitalkonzerne getrieben wird. Dies geschieht zudem in rasanter Geschwindigkeit und fordert das Entwicklungstempo der Heiztechnik heraus, um noch hinterher zu kommen.
Tief verbreitete Kundenwünsche zu ignorieren ist sicherlich nicht die richtige Antwort. Aber wenn die eigene Produktentwicklung schon an die von Consumer Electronics gekoppelt werden muss, so besteht doch zumindest Handlungsspielraum, diese Entwicklung mit den Eigeninteressen abzugleichen und bei Abweichung nicht mehr als nötig aktiv voranzutreiben.
Zweitens werden branchenfremde Digitalkonzerne zum Konkurrenten um den Kundenzugang. Sie alle fokussieren sich auf das Sammeln von Daten, lernen Nutzerverhalten und gewinnen dadurch immer stärkeren Einfluss in die Kaufentscheidungen Ihrer Kunden.
Mit „Amazon Business“ drängt sich der amerikanische Quasi-Monopolist bereits in B2B-Lieferketten inklusive des dreistufigen Vertriebes der Heizungsbranche, oder vermarktet eigene und gebrandete Produkte mit ersten Berührungspunkten zur Gebäudetechnik.
Auch Google ist mit Nest schon vor Jahren unter die Hardware-Hersteller gegangen und bedient damit einige Heizungsanwendungen selbst. Mit ihrer dominierenden Suchmaschine sitzt Google zugleich am mächtigen Hebel, um Besucherströme im Internet nach ihren Kriterien zu steuern. Auf welchen Webseiten sich TGA-Planer oder potenzielle Heizungsmodernisierer informieren und auf welchen nicht, wird längst vom Google-Algorithmus mitgeprägt. Das ist nicht neu, aber was kommt als nächstes?
Ähnlich wie sie schon viele andere Branchen durch geschickten Ausbau ihrer Marktmacht in große Abhängigkeit getrieben haben, könnten Amazon und Co auch in der Heizungsindustrie schleichend die Machtverhältnisse kippen und sie Schritt für Schritt zum austauschbaren Zulieferer degradieren.
Neben den etablierten Consumer Electronics Herstellern können sich auch kapitalstarke Digital-Start-Ups mit Stärken in Datenintelligenz und Endkundenansprache dazu anschicken, ihren Einfluss auf Kaufentscheidungen der Heiztechnik zulasten der Fachschiene auszubauen. Smarte Thermostate, zum Beispiel, ködern Endkunden oft mit wohlklingenden Features und vollmundigen Energiesparversprechen. Der Komplexität der Systemtechnik werden die dahinter liegenden trivialen Ein-Aus-Schaltungen zwar nicht gerecht, sichern sich jedoch so Zugriff auf Anlagen- und Kundendaten, um das lukrative Geschäft mit Serviceverträgen und Nachrüstung zu steuern.
Wenn die Kunden ihr Heizsystem nach Amazon-Rezensionen und Google Rankings auswählen, die Frage nach Kompatibilität zu Alexa und Smart Home-Systemen gestellt wird, bevor klassische Kaufkriterien wie Wirkungsgrade, präzise Fertigung oder Langlebigkeit thematisiert werden, oder ein Auftrag zur energetischen Sanierung aufgrund der automatisierten Empfehlung eines branchenfremden Algorithmus vergeben wird, dann hat die Heizungsindustrie ein großes Stück Zielgruppenbesitz verloren.
Damit es nicht so weit kommt, muss die Heizungsindustrie einen eigenen Umgang mit Datenintelligenz für sich entdecken, statt sich leichtfertig als Datenlieferant vor den Karren der Digitalkonzerne spannen zu lassen. Wie die Heizungsbranche eine eigene Datenintelligenz aufbauen und nutzen kann, beschreibt das Kapitel „Neue Wertversprechen für die Heiztechnik im IoT“.
[1] https://de.statista.com/statistik/daten/studie/459963/umfrage/anteil-der-smartphone-nutzer-in-deutschland-nach-altersgruppe/. Abgerufen am 19. November 2020
[2] https://www.beyto.com/smart-speaker-studie-2020/. Abgerufen am 2. Februar 2021
[3] https://www.heise.de/newsticker/meldung/Fast-jeder-Dritte-in-Deutschland-nutzt-Sprachassistenten-4443365.html. Abgerufen am 2. Februar 2021