Der Indoor Air Quality-Index in HVAC-Anwendungen
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Das Bewusstsein für die Bedeutung einer hohen Raumluftqualität in Innenräumen ist sowohl für die Steigerung des Wohlbefindens als auch zur Erhaltung der Gebäudesubstanz in den vergangenen Jahren deutlich gestiegen.
Einen regelrechten Boom erleben CO2-Messgeräte durch Bekanntwerden der Korrelation aus der CO2-Konzentration mit dem Aerosol-Gehalt der Raumluft. Die Covid-Pandemie hat der breiten Bevölkerung die Rolle von Aerosolen schmerzlich bekannt gemacht und zugleich die Auswirkung der Raumluft auf unsere Gesundheit ins öffentliche Bewusstsein gerufen.
Tatsächlich führen wir Menschen unserem Körper jeden Tag 9-18 m³ Raumluft zu – eine etwa 10x höhere Masse als über Lebensmittel [1]. Schlechte Raumluft mindert unser Wohlbefinden somit auf vielfältige Weise:
- Reizungen von Atmungstrakt und Augen
- Befindlichkeitsstörungen wie Kopfschmerzen, Stimmungsschwankungen oder Appetitlosigkeit
- Bildung oder Verstärkung von Allergien und Überempfindlichkeiten
- Unter Umständen sogar ein erhöhtes Krebsrisiko, z.B. durch Chemikalien aus Baumaterialien oder Tabakrauch
Da die Wissenschaft (und weite Teile der HVAC-Branche) diese Zusammenhänge längst kennen, prägte die WHO hierzu schon in den Achtzigern den Begriff Sick-Building-Syndrom. Da die Raumluftqualität nicht nur Leib und Wohlbefinden des Einzelnen betrifft, sondern auch dessen Leistungsfähigkeit, ist die Raumluftqualität auch für Schulen, Büros und Verwaltung hochrelevant.
Wie stark die Raumluft unsere Leistungsfähigkeit beeinflusst
Eine Harvard-Studie wies 2015 eindrucksvoll die leistungsmindernde Wirkung von VOCs (Volatile Organic Compounds) nach. Die Probanden wurden verschiedenen kognitiven Disziplinen unterzogen, nachdem sie sich in Umgebungen unterschiedlicher VOC-Belastung aufgehalten hatten. Eine hohe VOC-Konzentration wurde hierbei durch büroübliche Materialien herbeigeführt. Weder die Probanden noch die Analysten hatten Kenntnis über die jeweilige Gruppenzugehörigkeit der Teilnehmer („Doppelblindtest“).
Die Performance der Testpersonen im „grünen“ Gebäude lag eindrucksvolle 61% über dem der „nicht-grünen“ Gebäude. Bei zusätzlichem Einsatz eines leistungsstarken Lüftungssystems wuchs der Leistungsvorsprung sogar auf das Doppelte. In einigen kognitiven Disziplinen, wie der Informationsverwertung und dem strategischen Denken, stellten die Wissenschaftler sogar eine 300% bessere Leistungsbewertung aus [2].
Die wachsende Bedeutung der Raumluftqualität bietet auch für die Heizungs- und Klimaindustrie eine große Chance, dieses Thema frühzeitig in den eigenen Schaffensbereich aufzunehmen. Mit einem vorausschauenden Produktmanagement lassen sich schon heute interessante Produktkonzepte entwerfen, die sich vom Wettbewerb abheben.
Zwei sensorische Prinzipien zur Bestimmung der Raumluftqualität
Während für die Vorbeugung von Feuchteschäden in Heiz- und Kühlanwendungen die energieeffiziente Regulierung von Temperatur und Luftfeuchtigkeit im Fokus stehen, gilt insbesondere die CO2-Raumluftkonzentration, gemessen in ppm (parts per million), als entscheidendes Kriterium für die Bewertung einer gesunden Raumluft.
Wo eine hochgenaue Messung der CO2-Konzentration obligatorisch oder baurechtlich vorgeschrieben ist, kommen spektroskopisch messende NDIR-Sensoren (Non-Dispersive Infrared) zum Einsatz. Diese sind sehr präzise, allerdings ebenso teuer.
Einen anderen Ansatz verfolgen sogenannte VOC-Sensoren. Sie messen die Gesamtkonzentration flüchtiger organischer Verbindungen (Volatile Organic Compounds) und erlauben keine Aussage über einzelne spezifische Bestandteile oder Verbindungen. Im Gegensatz zu einem NDIR CO2-Sensor kann ein VOC-Sensor beispielsweise nicht die spezifische erforderliche Belüftungsrate anzeigen, sondern nur den VOC-Gehalt in der Luft und somit eine allgemeine Änderung der Konzentration von Schadstoffen.
Doch warum eignen sie sich trotz ihrer beschriebenen Einschränkungen in idealer Weise zum Zweck der Überwachung und Aufrechterhaltung einer gesunden Raumluftqualität (IAQ)?
VOC-Sensoren zur Messung der Indoor Air Quality
Flüchtige organische Verbindungen werden als Gase aus bestimmten Feststoffen oder Flüssigkeiten freigesetzt. Zu den flüchtigen organischen Verbindungen gehören eine Vielzahl von Chemikalien, die von einer Vielzahl von Produkten emittiert werden.
Beispiele dafür sind: Farben und Lacke, Reinigungsmittel, Baumaterialien und Möbel, Bürogeräte wie Kopierer und Drucker, grafische und handwerkliche Materialien wie Leime und Klebstoffe und eine Vielzahl gewöhnlicher Haushaltsartikel bis hin zu Kinderspielzeugen. Auch menschliche sowie durch Alltagshandlungen verursachte Emissionen durch Ausatmung, Schwitzen, Kochen oder Lebensmittelkonsum können detektiert werden.
Was erkennen VOC-Sensoren?
- CO, CH4, Flüssiggas
- Alkohole
- Ketone
- Organische Säuren
- Amine
- Aliphatische Kohlenwasserstoffe
- Aromatische Kohlenwasserstoffe
Hieran verdeutlicht sich ein großer Vorteil dieser Technologie: VOC-Sensoren erfassen ein breites Spektrum an Gasen, die zur Raumluftqualität beitragen, und kann hieraus zugleich ein CO2-Äquivalent in ppm ableiten. Ein CO2-Sensor hingegen kann jedoch nicht den umgekehrten Weg gehen. VOC-Sensoren bieten somit einen kompletteren Blick auf die Raumluftqualität und sind dabei meist noch die kostengünstigere Lösung.
Sie aggregieren die Messwerte der unterschiedlichen VOCs zu einem Index of Air Quality zur Indikation der Luftqualität in einer einzelnen Kennzahl. Gemäß der durch die EPA (United States Environmental Protection Agency) definierten Klassifizierung lässt er sich interpretieren und anhand eines standardisierten Farbcodes visualisieren. Analog dazu gibt es eine Klassifizierung basierend auf der CO2-Konzentration in der Raumluft.
Index for Air Quality (IAQ)-Klassifikation
Klassifikation des CO2-Gehalts für das menschliche Wohlbefinden
Die TEAM-Studien (Total Exposure Assessment Methodology) der EPA haben ergeben, dass die Konzentrationen von etwa einem Dutzend gängiger organischer Schadstoffe innerhalb von Häusern zwei- bis fünfmal höher sind als außerhalb. Dies gilt unabhängig davon, ob die Häuser in ländlichen oder hochindustrialisierten Gebieten liegen.
Weitere TEAM-Studien deuten darauf hin, dass Menschen bei der Verwendung von Produkten, die organische Chemikalien enthalten, sich selbst und andere einer sehr hohen Schadstoffbelastung aussetzen können. Zudem kann die erhöhte Konzentrationen noch lange nach Beendigung der Tätigkeit in der Luft vorhanden sein.
Raumluft-Sensoren mit algorithmischer Intelligenz
Die Anzahl der Hersteller von hochintegrierten VOC-Sensoren ist überschaubar. Es ist somit nicht verwunderlich, dass in der Vielzahl inzwischen verfügbarer Raumluftüberwachungsgeräte Sensoren derselben Hersteller ihren Dienst verrichten. Durch die Integration mehrerer Sensoren auf einem Chip, können sie heute über die Erkennung flüchtiger organischer Verbindungen hinaus auch die Raumtemperatur, die relative Luftfeuchtigkeit sowie den Luftdruck mit hinreichender Genauigkeit messen.
Über einfache Schnittstellen können die Rohwerte einem Mikrocontroller verfügbar gemacht und somit klug weiterverarbeitet werden. Durch intelligente Algorithmen kann der Sensor automatisch auf seine jeweilige Arbeitsumgebung kalibriert werden und somit eine stabilere und seinem Einsatzort angemessene Bewertung der Luftqualität vornehmen – egal, ob dieser in einer Küche, einem Wohnzimmer oder einer Lagerhalle installiert ist.
Anwendungsfälle für die HVAC-Industrie
Die im Zuge der Corona-Pandemie sprunghaft gestiegene Anzahl von Produkten zur Raumluftüberwachung zielen i.d.R. auf eine reine Anzeige der Raumluftqualität (IAQ) bzw. CO2-Konzentration ab. Je nach Ausstattung lassen sich diese mit einstellbaren Warnschwellen und entsprechenden optischen und/oder akustischen Alarmen betreiben.
Werden kritische Grenzwerte überschritten, ist es Zeit für einen Luftaustausch durch die klassische Fensterlüftung (Stoßlüften). Auch dem letzten „Lüftungsmuffel“ wird bei Betrachtung der Entwicklung des IAQ-Index oder der CO2-Konzentration die Notwendigkeit und die Wirksamkeit des regelmäßigen Lüftens klar vor Augen geführt.
Der Verkauf von Geräten zur Raumluftüberwachung ist sicherlich lukrativ, wenn auch umkämpft. Für Hersteller der Heizungs-, Klima und Lüftungsindustrie (HVAC) könnte es eine geschickte Alternative sein, die Funktionalität in ihre Systeme zu integrieren und als Differenzierungsmerkmal zu vermarkten.
Anwendungsbeispiel eines integrierten Luftgütesensors: °C-Lite Raumthermostat für Flächenheizungen. Links: Standby-Zustand mit Farbindikation der IAQ. Rechts: Detailansicht der Sensorwerte
Über das Monitoring hinaus können CO2 und/oder Index for Air Quality auch als Regelgröße für verschiedenste HVAC-Anwendungen in die Regelungstechnik eingebunden werden. Denkbar ist etwa die Einbindung in ein Sensor- und Steuerungselement für dezentrale Lüftungsanlagen wie Fan Coils, die basierend auf dem IAQ-Index für eine automatisierte und energiesparende Wohnraumlüftung sorgen können.
Eine Zusammenstellung weiterer Anwendungsbeispiele für den Einsatz von Luftgütesensoren in HVAC-Anwendungen wie Raumthermostaten, Wärmepumpen oder Gaskessel, Lüftungssystemen, Flächenheizungen uvm. finden Sie auch hier.